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Aktuelles

 
 

Sehr geehrte liebe Kolleginnen und Kollegen,

hier finden Sie jeweils die Zusammenfassung des letzten Kreidekreis-Treffens.

Diesmal:

 
23.11.2022 56. Kreidekreis-Dinner

Anwesend waren: die Damen Gottfried, Thiele-Reiche und Zerbel sowie die Herren Balzer, Eckardt, Gottfried, Leischulte, Meyer, Dr. Mottok, Nitschke, Roland, Schuppan, Werner, Wustrack und der Unterzeichner; entschuldigt hatten sich die Herren Kilian und Wittke.

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

das 56. Kreidekreis-Dinner fand nach der „Pandemie-Pause“ und der ereignisreichen Suche eines neuen Treffpunktes am 23. November 2022 im „Alten Krug“ in Berlin-Dahlem statt. Im Mittelpunkt stand das Referat des kürzlich pensionierten Rektors Michael Rudolph, der durch sein Buch „Wahnsinn Schule. Was sich dringend ändern muss“ (rowohlt Berlin-Verlag) Aufmerksamkeit erregte. Der Band liegt auf der Linie der 2021 erschienenen Publikation:

  Lorenz Maroldt /Susanne Vieth-Entus: Klassenkampf. Was die Bildungspolitik aus Berlins Schuldesaster lernen kann; suhrkamp taschenbuch 5231

Die Ausführungen des Referenten fanden, wie die vielen Diskussionsbeiträge bewiesen, ungeteilte Zustimmung. Das Berliner Bildungsdesaster, Warnung und Lehrstück zugleich, wurde durch konkrete Beispiele belegt: Viele Gebäude sind marode, die Stimmung bei vielen Eltern ist explosiv, die Bilanz verheerend, denn bei allen Vergleichstests in Deutsch und Mathematik landen die Kinder der Hauptstadt auf den hinteren Plätzen. Der Hinweis, die Pandemie sei die Ursache, verfängt nicht, weil die Ergebnisse z. B. in Sachsen, Bayern oder Hamburg deutlich besser sind. Besonders Hamburg zeigt, dass eine frühe Feststellung der Defizite (anderthalb Jahre vor der Einschulung werden die Kinder getestet),entscheidend ist; werden Mängel festgestellt, so müssen sie verpflichtend eine Vorschule besuchen oder vorschulische Förderung in einer Kita bekommen. Schulen in belasteter sozialer Lage bekommen in Hamburg besondere Unterstützung. Die frühkindliche Förderung ist wichtig, hier wirkt sich die häufig zu hörende Klage über den Erziehungsverlust in den Familien besonders negativ aus, zu schweigen von den Familien, in denen die Muttersprache nicht Deutsch ist.

Ein wichtiges Ziel wäre die Vorschulpflicht, unerlässlich zum Beispiel für Kinder mit Migrationshintergrund aus Familien, in denen nicht oder kaum Deutsch gesprochen wird, dann – eher simpel – Eltern müssten mit ihren Kindern mehr lesen, auch ältere Geschwister könnten es; das Vorlesen als Beispiel kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es versteht sich von selbst, soll aber angesichts der bedenklichen Tatsachen erwähnt werden: Die große Zahl der Quereinsteiger, der Lehrermangel generell (Brandenburg muss im kommenden Jahr 1 500 Lehrkräfte einstellen, Berlin noch mehr), dem der Erzieher- und Sozialpädagogenmangel in nichts nachsteht, vergrößern das Problem. Das gute Beispiel Hamburg zeigt, dass man durch Tests sich erst ein genaues Bild verschaffen und dann eine gezielte Massnahmebatterie folgen lassen muss, damit die Strategien auch greifen. Ohne Kontrolle mit Folgen geht es nicht. Und dazu gehört eine funktionierende Schulaufsicht.

Von Brandenburgs Bildungsministerin hörte ich von der Überlegung, den Deutsch- und Mathematikunterricht in der Grundschule zeitweise zu verstärken – ein sehr guter Vorschlag. Was ist daraus geworden? Ihre Aussage, dass die Klassengröße für den Bildungserfolg nicht entscheidend sei, (vgl. Hattie-Studie) gilt sicher nicht für jede Frequenz. Wenn aber zum Beispiel die Inklusion fortgesetzt wird, ohne dass die zusätzlich erforderlichen Lehrkräfte und Spezialisten eingestellt werden, dann verschlechtert sich die Lage im Klassenraum beträchtlich. Hierzu fehlen Aussagen ebenso wie zur Ausstattung mit PCs und mit der Absicherung der Digitalisierung, der Verbindung zwischen Schule und Elternhaus.

Das Münchner ifo Institut stellte auf der Grundlage der Schulleistungsstudien wie PISA und TIMMS kürzlich fest, dass der Anteil der Kinder und Jugendlichen, denen grundlegende Kompetenzen im Lesen, Schreiben und Rechnen fehlen, mit 23,8 % relativ groß ist. Deutschland landet damit auf Platz 30 – noch hinter Russland. Tragisch, weil Bildung nicht nur für das persönliche Schicksal bedeutsam ist, sondern der langfristig wichtigste Beitrag zum Wirtschaftswachstum, die Zahl der Sozialhilfeempfänger dürfte sich vergrößern.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, leider mussten wir uns erneut von Mitgliedern verabschieden: Am 23.12.2020 verstarb Rainer Malleé, am 31.5.22 Karl Pentzliehn, im Namen des Kreidekreises sprach ich auf Wunsch der Familie am Grab, und am 23.11.22 Dr. Erich Laube, ehem. Ltd. SchR in Schöneberg. Im „Tagesspiegel“ kondolierten wir für den Kreidekreis. Wir haben eine Annonce geschaltet; allen sei für die finanzielle Unterstützung gedankt. Zu den Aktivitäten anderer Art gehören zwei Presseerklärungen: Wir beglückwünschten Frau Rektorin Busse zur Wahl zur Berliner Schulsenatorin; in einer PE vom 19.1.22 begrüßten wir die Absicht der Senatorin, landesweit eine Anlauf- und Dokumentationsstelle für „konfrontative Religionsbekundungen“ einzurichten und unterstützten den Neuköllner Bürgermeister Hikel in eben dieser Absicht. Frau Vieth-Entus, die seit 20 Jahren die Berliner Schulpolitik kenntnisreich und kritisch begleitet, nahmen wir als Ehrenmitglied in den Kreidekreis auf, was uns eine positive Erwähnung im Checkpoint eintrug.

Schließlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Wort zu den offenen Gesprächen, die an den Tischen geführt wurden, die ein Zeichen unseres vertrauensvollen Bündnisses sind und Ausdruck unseres einander Zumutens mit guten und mit belastenden Informationen. Ich dachte an Bertolt Brecht: Wahrlich wir leben in finsteren Zeiten. Immer war zu hören: Niemals hätte ich im Ernst an einen Krieg in Mitteleuropa zu Lebzeiten gedacht und nun die Folgen, die uns alle belasten. Freilich wünsche ich allen harmonische Weihnachtsfeiertage und ein friedvolles Neues Jahr, ein selbstverständlicher Gedanke für alle, mit denen wir es gut meinen, aber es ist nicht die jährliche Routine, die stocken lässt, es gibt so viele Zumutungen und Störungen im Alltäglichen seit einiger Zeit mit ansteigendem aggressiver werdenden Impulsen, denen man sich schwer entziehen kann – wir jedenfalls., da wir doch erfahrene Pädagoginnen und Pädagogen sind. Immer wieder sagt man sich, man kann es ja nicht ändern, man sollte sich auf den kleinen Kreis der Familie und der Vertrauten zurückziehen, in den Garten gehen und in den nahen Wald spazieren, kurz Gott einen guten Mann sein lassen. Aber wir können es nicht, auch das Alter bringt uns nicht dazu. Wir können nicht gleichgültig werden, waren es nie. Letztens las ich: „ Glück hat, wer den Zufall beeinflussen kann. Wer sein Zuhause nicht verlässt, weil er muss, sondern weil er will.“ Da nun in Berlin mehr als 100 000 Glücklose leben, kann man sich Szenarien vorstellen, die belasten. Vielleicht auch Situationen, die uns Chancen geben zu helfen und Not zu lindern.

Mit Vorfreude auf das nächste Kreidekreis-Dinner bin ich mit herzlichen Grüßen und guten Wünschen

Ihr
Wilfried Seiring