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Sehr geehrte liebe Kolleginnen und Kollegen,

hier finden Sie jeweils die Zusammenfassung des letzten Kreidekreis-Treffens.

Diesmal:

 
13.01.2016 Zu Gast: Eberhard Diepgen, Reg. Bürgermeister i.R

Der Reg. Bürgermeister Eberhard Diepgen i.R. stellte sich nicht nur den Fragen der Teilnehmer am 47. Dinner des Kreidekreises, er war uns ein Zeitzeuge par excellence, erörterte überraschend freimütig gegenwärtig virulente Probleme unserer Gesellschaft ohne Tabus. Seine Eingangsbemerkung, er würde offen seine Meinung sagen, aber auch schweigen, wenn er es für geboten hielte, sicherte uns einen Gesprächspartner, der authentisch wirkte – um ein Wort unserer Zeit zu verwenden.

Diepgen, der ab 1971 Vorsitzender des Schulausschusses, dann von 1984 bis Januar 1989 Reg. Bürgermeister war, die Wahl verlor, dann Oppositionschef wurde als die Mauer fiel und mit einem weiteren Wahlerfolg 1991 erneut Bürgermeister der wiedervereinigten Stadt wurde, verlor erst 2001 sein Amt über den Bankenskandal. Gegenwärtig ist der Pensionär zum Mitglied im „Beirat für Zusammenhalt“ berufen worden, wo er mit Ingrid Stahmer, Wolfgang Wieland und Heidi Knacke-Werner insbes. in Flüchtlingsfragen die Verantwortung tragenden Politiker berät. Diese Funktion umschrieb er lächelnd mit der Bemerkung, man würde ja meist Ehrenvorsitzender, wenn die Leute hoffen, dass man sich nicht mehr einmischt. Aber „in jedem Kreis sind Querdenker nötig.“ Und er wolle sich einmischen, wenn er es für geboten halte. (Nebenbei: Das Wort „Zusammenhalt“ führte zu hinterfragenden und kritischen Bemerkungen; die Kanzlerin hatte in ihrer Neujahrsansprache betont, es komme im Jahr 2016 besonders „auf unseren Zusammenhalt“ an, was Frau Barbara John einen „Begriff von grandioser Unbestimmtheit“ nannte (Tsp. vom 3.1.16).

Die folgenden Aussagen sind ein Beleg, ohne danach zu trachten, den Abend vollständig wiederzugeben:

 

• Plädoyer für eine unbefristete Randbebauung des Tempelhofer Feldes, Wohnungen für alle Berliner müssen geschaffen werden, vorausgehen müssten Änderungen der Bauvorschriften und erhebliche Kostenreduzierungen. Der Senat müsse „Mumm“ haben, das Gesetz, das zur Zeit eine unbefristete Bebauung unmöglich macht, (Folge des Volksentscheides vom Mai 2014) zu ändern. Sicher, da gäbe es Widerstände, aber er glaube nicht, dass ein Gericht die Sache annähme.

Warnung vor neuen sozialen Brennpunkten, wenn Flüchtlings-Massierungen geschaffen werden; 7 000 Menschen in den Hangars, das sei viel zu hoch (derzeit schlafen auf 24 qm 12 Personen, das seien zu viele).

Das Ausmaß der Flüchtlingsbewegung sei zu spät erkannt worden, es sei naiv, an eine europäische Lösung zu glauben, wenn man nicht vorher bei den europäischen Nachbarn Vereinbarungen erreicht hätte. Die Fluchtursachen könne man keinesfalls kurzfristig beseitigen. Bürgerkrieg verpflichte nicht zur Asyl-Aufnahme.

Keine speziellen Grüße zu besonderen Geburtstagen der Kreidekreismitglieder.
Für die Kinder unseres Geistes waren die Jahrzehnte gemeinsamen Gestaltens ein Lebensgeschenk, für daß man gemeinsam dankbar sein kann.

Eine weitere Ursache der gegenwärtigen Unterbringungskrise der Flüchtlinge sei die jahrelange Ausdünnung der Berliner Verwaltung, die Sparmaßnahmen seien unverhältnismäßig gewesen. Auch Neueinstellungen in größerem Umfang werden wegen der Einarbeitungsschwierigkeiten so schnell wie erforderlich nicht greifen. Er hätte deshalb Art. 35 GG in Anspruch genommen, was allgemeines Erstaunen auslöste. Schmidt hätte damals in Hamburg sogar rechtswidrig gehandelt, aber der Zeitgeist hat geholfen (Es kam angesichts des Erfolges keine Klage.) Er hätte Mut bewiesen. Heute sähe das zwar anders aus, aber der erklärte Notstand hätte wirksamere Eingriffsmöglichkeiten erlaubt, z. B. Beschlagnahmen von Gebäuden, auch andere Vorsorgemaßnahmen. Der Rechnungshof sei wichtig, aber mitunter müsse man seine Einwände bzw. seine Kritik „einfach ertragen und politisch beurteilen.“ Auch sonst – in den Ämtern müsse man nicht jeder Stimmung nachgehen.

• Entgegen der landläufigen Auffassung von der rational handelnden Kanzlerin, hält er sie in allen Entscheidungen für emotional bestimmt (Atomausstieg, Griechenland, Flüchtlingswillkommen). Die Folgen werden lange spürbar bleiben, sie werden das Land verändern. Die Auseinandersetzungen darüber in der Gesellschaft werden anhalten und sich verstärken – „Polarisierung wird das Thema der Zukunft“.

Bekenntnis zur repräsentativen Demokratie – seine tiefe Überzeugung – sicher, die Demokratie sei ein System der Langsamkeit. Deutlich: es mangele an Alternativen. Er sei bei Wahlen für das Panaschieren und das Kumulieren. Man müsse die Schwächen nicht so betonen, sie aber kennen, weil bei Abstimmung stets unterschiedliche Aspekte eine Rolle spielen.

• Dies sei ein ganz spezielles und historisch bedeutsames Problem bei der Wiedervereinigung der Stadt gewesen, nicht so wegen der infrastrukturellen notwendigen Veränderungen, vielmehr, weil die unterschiedliche Sozialisation über die Jahre (angesichts der Ansammlung der DDR-Eliten in deren Hauptstadt) zu anderem Staats- und Verwaltungsverständnis geführt hätte. So sei die erste Aufgabe gewesen, was nicht jeder Bürger gleich erkannt habe, „soziale Eruptionen zu verhindern“.

Auf eine entsprechende Frage antwortete der Gast, der Zustand der jüdischen Gemeinde erfülle ihn mit Sorge. Es sei aber nicht Sache des Senats, in die Arbeit der Religionsgemeinschaften einzugreifen. Bezüglich der Kritik an der israelischen Politik bzw. Position zu den Palästinensern müsse man getragen sein von Selbstbewusstsein, einem Bewusstsein, das die Kenntnis aller Fakten einschlösse.

Bemerkenswert war, dass der Gast die Teilnehmer des Dinners als Fachkräfte ansprach, von denen er Rat bezüglich der Beschulung der Flüchtlingskinder erhoffe, denn die sog. Willkommensklassen werden bei weiterem Zuzug nicht die alleinige Lösung sein können. Er wurde im Meinungsaustausch darüber bestätigt. Er plädierte ergänzend für staatliche Beschäftigungsprogramme, Arbeit sei eine Voraussetzung für Integration wie auch die Sprache.

Anwesend waren die Damen Bauer, Gottfried, Zerbel und die Herren Balzer, Dr. Danne, Eckardt, Gottfried, Kendzia, Kilian, Leischulte, Linkiewicz, Meyer, Dr. Mottok, Nitschke, Pentzliehn, Dr. Reul, Roland, Seiring, Sierp, Thiel, Werner, Wittke.

Am Kommen gehindert, aber grüßend hatten sich Frau Thiele-Reiche, Frau Lamers, Herr Hoffmann und Herr Boehlke gemeldet. Herr Kledzik ließ aus dem Krankenhaus grüßen; alle Teilnehmer wünschten ihm schnelle Genesung und erhoffen möglichst bald seine Anwesenheit.

Wilfried Seiring