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Lieber Ulrich,
eine Sache wirklich würdigen heißt: ihr Entstehen nacherleben, nachfühlen, nachdenken.
Dazu möchte ich Sie auffordern, und ich weiß. dass das für einige eine Herausforderung für
andere ein Zumutung ist. Es liegt aber in der Natur der Sache, dass ich in die Vergangenheit
in das vorige Jahrhundert zurückblicken und zurückgreifen muss, wenn ich vom Schaffen
vom Lebenswerk des Schulpädagogen und Hochschullehrers Kledzik Zeugnis ablegen will und
werde.
I.
lm Zeitraffer: Anders als bei den Studierenden heute lag bei Ulrich Kledzik vor dem Examen
Flakhelfer-Einsatz, Fronterfahrung, sowjetische Kriegsgefangenschaft, Zeit des Hungers und
Zeit einer ungewissen Zukunft im zerstörten Deutschland.
In den Schulen dann, im Wedding, brachten Kinder Kohlen mit, wurde Schulspeisung
ausgegeben und manchmal auch Bezugsscheine für Holzschuhe oder Handschuhe. Man
brauchte die Wirklichkeit der Lebenswelt nicht in den Klassenraum zu holen, direkter konnte
die Nachkriegszeit nicht thematisiert werden damals.
Ich erwähne das kurz, um bei Ihnen, meine Damen und Herren, den Boden für Verständnis
dafür zu schaffen, dass die meisten Lehrerinnen und Lehrer - beschäftigt mit eigenen
Problemen der Wohnraumbeschaffung in der Trümmerwelt Berlins mit Lebensmittelkarten
und Zuzugsbeschränkungen - wenn Kollegen Kledziks nicht über den Tellerrand ihres
Klassenraumes und der ihnen anvertrauten Kinderschar hinausdachten.
Nicht so Ulrich Kledzik!
Nach dem Studium, u.a. auch in USA 1952/53, war ihm selbstverständlich, dass alle Mädchen
und Jungen eine Fremdsprache erlernen sollten. Fremdsprachenerwerb in der Volksschule,
weg vom Privileg der Gymnasien - damals eine revolutionäre Forderung. Englisch in der allgemeinbildenden Schule Berlins ! Deutlich wurde das noch einmal, als 1997, der britische
Botschafter den von der Queen Elisabeth ll. verliehenen Orden „Honorary Officer oft
the
Most Excellent Order of the British Empire (OBE)” überreichte, womit verschiedene
Aktivitäten gewürdigt wurden, vor allem aber das erfolgreiche Bemühen und dann dass
Durchsetzen des Englisch-Unterrichts für alle Berliner Schüler der Sekundarstufe. Das ist
heute selbstverständlich, sodass der eine oder andere sich über die Erwähnung wundern
wird, was das aber im Kontext europäischer Schulbildung bedeutet, kann maß
nachempfinden, würde man diesen Unterricht streichen und den früheren Zustand wieder
herstellen. Schlicht undenkbar! Nach dem Mauerfall 1990 haben Kollegen aus Ost-Berlin
immer wieder vom Gefühl des Mangels berichtet, den sie empfanden weil in ihrer Hemisphäre dieser Englisch-Pflichtunterricht fehlte. |
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II.
10. Klasse in der Hauptschule;
die Volksschule damals in Deutschland kannte acht, manche 9 Pflichtschuljahre. Kledzik
hielt
die Erweiterung des Angebots und die Festlegung auf 10 Pflichtschuljahre für geboten, de"
Abbau von Benachteiligung gegenüber den Realschülern im Auge.
Zunächst selbst erprobt mit freiwilligen 10. Klassen (1958), dann die positiven Erfahrungen
mit Überzeugung verbreitet, schließlich mit Mitstreitern die gesetzlichen Veränderungen
erreicht. Für einen Beamten aus der Verwaltung, der administrieren soll, das Einhalten von
Vorgaben überwachen und bei Verstößen ahnden muss, ein sehr seltener Vorgang.
Die Idee: Integration der Benachteiligten, denen Chancen geben; das Humane daran: Helfen,
unterstützen, fördern und schließlich die Möglichkeit für Gleichheit schaffen. Gleicher
Start
für Teilhabe und Mitwirkung - nichts scheint mir auch heute wichtiger für eine
demokratische Gesellschaft, die Parias vermeiden muss, wenn sie Bestand sichern will. Das
gilt generell für alle Bereiche. Wie aktuell dieser Ansatz noch immer ist, zeigen die
Diskussionen über verfehlte lntegrationspolitik. Aber auch die Methode kann als Beispiel
dienen: Zunächst wird die Idee praktisch erprobt, wobei sie vom gedachten Modell manche
Änderung erfährt; Änderungen, die der Verwirklichung dienen und die unterschiedlichen
sozial-kulturellen Voraussetzungen berücksichtigen. Dann werden Mitstreiter gesucht,
überzeugt und an verschiedenen Stellen unter unterschiedlichen Bedingungen tätig, um die
Tragfähigkeit der Theorie zu prüfen. Mit der Publikation der Erfahrungen geht es dann in die
Fachdiskussion, die zur Übertragung des Ansatzes führte - nun längst außerhalb der
Diskussion steht und nicht mehr zurückzunehmen ist. Unabhängig vom Misserfolg Einzelner
ist das Bildungsniveau ganzer Generationen inzwischen angehoben, förderlich dem
nationalen Bruttosozialprodukt aber eben auch der individuellen Genugtuung und
Selbstverwirklichung.
lll.
Gesamtschule
Als zuständiger Referent in der Bildungsverwaltung nahm Prof. Kledzik internationale
Bestrebungen zur Verbesserung der Volksbildung, vorbildliche Einzelversuche und die
nationalen Reformdiskussionen auf mit der Konzentration auf die Mittelstufe. Seine
schulreformerischen Vorstellungen vom Ende der separierenden Schullaufbahnen nach der
6-jährigen Berliner Grundschule führten zur grundlegenden bildungspolitischen Reform zu
Beginn der 70er Jahre. Auf der Grundlage der positiven Erfahrungen einzelner Schulen in
verschiedenen Berliner Bezirken - Mutterklöster genannt - und entsprechend der
bildungspolitischen Konzeption der SPD entschied der Senat von Berlin, keine Schulen mehr
für die getrennten Zweige der Mittelstufe, sondern Bildungszentren zu bauen, in denen die
Schüler der Klassen 7 bis 10 zusammengefasst unterrichtet werden. Mit dem Bau von
Gesamtschulen in Bildungszentren wollte das Land Berlin dem Ziel näher kommen, für alle Schüler der Mittelstufe eine allgemeine, wissenschaftsorientierte Grundbildung zu
gewährleisten und eine vorzeitige Festlegung auf bestimmte Bildungsgänge zu vermeiden.
So kam es zu einer revolutionär zu nennenden Umstrukturierung der Berliner
Schullandschaft - alles nachzulesen in dem als „Bibel“ bezeichneten Band „Gesamtschule auf
dem Weg zur Regelschule“, vorgelegt vom zuständigen Abteilungsleiter Prof. Ulrich-J.
Kledzik, dessen Name untrennbar mit der Berliner Schulpolitik dieser Jahre verbunden ist
und bleibt. Um ihn und den Oberschulräten der Mittelstufe scharten sich schnell namhafte
Praktiker, die ihren Schulen Profil und werbewirksame Ausstrahlung, den Schülerinnen und
Schülern vorbildliche Unterrichtsbedingungen schafften. Es war das größte kommunale
Hochbauprogramm nach dem Zweiten Weltkrieg erforderlich, um die Bauten der
Bildungszentren zu errichten, die neben der Schule in Ganztagsorganisation ein
Jugendfreizeitheim, Räume für eine Volkshochschule, eine Mediothek, die eine öffentliche
Bibliothek einschloss, und mehrere Werkstätten sowie Sportstätten integrierte, die das
bisherige Lehrerhandeln vor neue Herausforderungen stellte aber auch Chancen bot.
Wer die Auseinandersetzungen der Zeit verstehen will, darf die traditionelle Schulstruktur in
der Bundesrepublik Deutschland nicht aus dem Blick verlieren, er muss die Aussagen des
Strukturplans (1970), des Zwischenberichts der Bund-Länder-Kommission (1971) und des
Bildungsgesamtplans (1973) aus der Zeit interpretieren und die parteipolitischen Differenzen
beachten, die vielfach den Berliner Reformbemühungen Steine in den Weg legten. Dann erst
kann man verstehen, was es bedeutet, 1975 die Gesamtschule als Regelschule im
Schulgesetz zu verankern, wodurch die vorgegebenen Bedingungen und die
unterschiedlichen Ansätze akzeptiert, mitunter auch „geglättet" wurden und gleichzeitig
erreicht wurde, dass die wichtigen Anliegen der Gesamtschule, wie Durchlässigkeit,
Chancengleichheit, Integration, Differenzierung berücksichtigt wurden.
Mit diesen Schulen konnten Bildungsprivilegien gebrochen werden, mit ihnen näherten wir
uns dem Ziel der Chancengleichheit, auf jeden Fall konnte die in der
Bundesrepublik zu Recht kritisierte Abhängigkeit des Schulerfolgs vom
Elternhaus durchbrochen werden. Jeder Abschluss wurde ein Anschluss.
Erlauben Sie mir ein Beispiel.
Ich zitiere den
Tagesspiegel vom 27.10.2012: „... Sie wurde ohne Deutschkenntnisse in
Neukölln eingeschult. Mit Hilfe ihrer deutschen Nachbarn, die mit ihr
Grimms Märchen lasen, hat sie sich die deutsche Sprache erschlossen.
Und der Gesamtschule hat sie es zu verdanken, dass sie es zum anfangs
unvorstellbaren Abitur brachte.“
Die Rede ist von der gegenwärtigen Senatorin für Frauen, Arbeit und Integration Dilek Kolat.
Die Zeitung schreibt weiter: „Kolat verkörpert damit den alten sozialdemokratischen Traum
eines sozialen Aufstiegs durch staatliche Förderung und eigene Anstrengung."
Und eigene Anstrengung - der Zusatz ist wichtig. Deshalb hatten wir die FEGA-Differenzierung in der Gesamtschule für richtig gehalten - trotz aller Anfeindung, deshalb
wollten wir die Ganztagsbetreuung, deshalb wollten wir die gymnasiale Oberstufe zugehörig, deshalb
wollten wir die Quotelung (also die Mischung aller Schüler). Der
Politik fehlte damals der Mut. Aber Kledziks Vision war und ist auch
heute noch richtig. Wie man sieht, wird die Idee weiter verfolgt. Nun in der Zweigliedrigkeit unter einem anderen Namen
(Gemeinschaftsschule).
IV.
Schließlich der zentrale Aspekt, der heute hier auch
im Mittelpunkt Ihrer Tagung steht
Ulrich Kledzik, der Professor für Theorie und Praxis des Sekundarbereichs an der PH Berlin
(seit 1972) wurde 1980 Hon. Professor für die Didaktik der Arbeitslehre an der TU Berlin.
Arbeitslehre - dafür hat Ulrich Kledzik (UJK) nicht nur eine
Idee Wırklıchkeıt werden lassen
dafür hat er auch die Grundlagen geschaffen, den Rahmenplan dafür, die engagierten
Mitstreiter gefunden und ausgebildet, deren Position gesichert und für die Ausbildung der
Lehrer und Multiplikatoren gesorgt. Dies so erfolgreich, dass die TU dafür die Professur schuf
und dass der Präsident nach erfolgreichem Wirken während eines Vierteljahrhunderts zum
Abschied erklärte: „Die Fakultät dankt Kledzik dafür, Ansehen und Attraktivität der
Lehrerbildung an unserer Universität bestätigt und gesteigert zu haben... Kledzik kam und
kommt noch immer bei den Studierenden an!”
Nicht unwichtig diese Bemerkung, weil es darauf ankommt, das Niveau des Fachmanns,
Standards zu wahren und dennoch die unterschiedlichen Eingangsvoraussetzungen
Studierenden zu beachten, deren Sprache und Vorbildung, um frühzeitig Frustrationen
vermeiden.
ln Berlin ist das heute selbstverständlich. Wenn man sich die Ergebnisse der Landerumfrage
ansieht, die Ihnen Reinhold Hoge zur Tagung vorgelegt hat, dann muss man mit Bedauern
feststellen, dass auch heute noch nicht in allen Bundesländern dieser Standard erreicht ist.
Die Hoge-Feststellung: „Die optimale Ausstattung einer Schule bestehend aus der Lehrküche,
der Holz-, Metall-, der Kunststoff-, der Elektro- und der Textilwerkstatt findet sich jedoch
nahezu nirgendwo.“ - auch diese Aussage ist für mich indirekt ein Hinweis, was in Brlinunter Kledziks Meinungsführung und Durchsetzungskraft damals in den Bildungszentren
erreicht wurde. Kollege Hoge notiert: „Es ist insgesamt der Eindruck zu gewinnen, dass in
den Bildungsministerien die Bedeutung der Werkstattarbeit in Projekten... nicht hinreichend
bekannt ist."
Meine Damen und Herren, das war in Berlin in der Senatsverwaltung natürlich nicht anders.
Es war eben Kledziks Kompetenz und Überzeugungskraft, die das damals änderte.
Vielleicht kann man sich da heute noch einen Rat holen! (Obwohl, lieber Ulrich, ich Dir nichts anderes
wünsche als private Stunden mit selbstgewählten Themen. Es ist nun Zeit dazu!!)
V.
Wenn man von all diesen herausragenden Leistungen hört, von diesen bleibenden Forschungs- und Arbeitsergebnissen, von den pädagogischen Errungenschaften, die
fortwirken, dann mag der eine oder andere der Studierenden an eigene Erfolge denken, die
er erhofft, die er herbeisehnt. Tatsächlich, alle Ideen, alle Verwirklichungen hat Kledzik
immer als Vorläufer für Kommendes, für Besseres angesehen. Aber es lohnt, sich klar zu
machen, dass nichts von selbst läuft, dass jede neue Idee den geborenen Feind, die
Gewohnheit, hat. Der Neid kann hindern, die Trägheit auch. Die Tradition kann allem Neuen
voller Vorwürfe sein: die hohen Kosten, der größere Aufwand, die unnütze Zeit. All das hat
natürlich Ulrich Kledzik in der Verwaltung unter vier verschiedenen Senatoren, unter sehr
divergenten politischen Rahmenbedingungen erfahren.
Es konnte ihn nicht abhalten, immer wieder zu ermutigen, sich bewusst zu sein, dass
pädagogische Prozesse langfristig angelegt sind, dass kollegiale Bindung in Teams und
Verbänden gehalten werden müssen, dass dazu auch Vertrauensvorschuss gehört, dass man
sein Anliegen zu begründen hat und dass dann erst Amtsautorität wirkt. Ulrich Kledzik
konnte anregen, konnte begeistern, konnte überzeugen. Dankbar blicken daher viele
Schüler, Mitarbeiter und Wegbegleiter zu ihm auf, verwirklichen seine ideen auf neue Weise,
nehmen wie er zu seiner Zeit nun die Herausforderungen unserer Zeit an und gestalten.
Kann man einen wirkungsstarken Schulpädagogen besser ehren?
Dem Ehrengast der GATWU-Tagung
wünschen wir Gesundheit, einen Rückblick in Zufriedenheit und mit der
Gewissheit, dass seine Reformarbeit fortgesetzt wird!
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